Vittoria Colonna wurde/wird als das weibliche Genie der italienischen Renaissance bezeichnet.
Mit Ihrem unwiderstehlichen Drang, korrigierte, konkurrierte spornte, reicherte, ergänzte Sie zeitgenössische Dichter, Philosophen, Theologen, und alle männlichen literarischen, philosophischen, theologischen Lehrsätze Ihrer Zeit, welche Ihre Aufmerksamkeit erregten, und forderte das männliche abstrahierende Denken aus der Sicht einer Frau, die der Fülle des Lebens verpflichtet war heraus.
(Maria Musiol)
Ihre Mutter Agnese von Montefeltro stammte aus dem Geschlecht der Herzöge von Urbino. Urbino war ein bedeutendes Zentrum der humanistischen Kultur. Da Agnese für ihre Liebe zur Literatur und bildenden Kunst bekannt war und Fabrizio kulturelle und wissenschaftliche Interessen hatte, ist anzunehmen, dass Vittoria in einer geistig anregenden Atmosphäre aufwuchs.
Bei ihren Zeitgenossen fand Vittoria ein außerordentliches Maß an Bewunderung und Verehrung, die sich sowohl auf ihren Charakter als auch auf ihre Bildung und Schönheit bezog. Schon in ihren Ehejahren bildete sich um sie ein Kreis von Literaten, von denen sie in Gedichten verherrlicht wurde (darunter Girolamo Britonio, Pietro Gravina, Scipione Capece, Marcantonio Minturno und Galeazzo di Tarsia).
Die prominentesten unter den Dichtern, die schon damals mit ihr Freundschaft schlossen, waren Jacopo Sannazaro und Francesco Berni. Giovanni Berardino Fuscano pries sie in seinen Stanze sopra le bellezze di Napoli als schönste unter den Schönheiten.
In einer freundschaftlichen Beziehung stand sie auch zu Baldassare Castiglione, der ihr 1524 das Manuskript seines Cortegiano zur Beurteilung Überließ. Ein enger Freund Vittorias war der päpstliche Sekretär Gian Matteo Giberti.
Nach dem Tod ihres Gatten traten weitere Literaten in Vittorias Umkreis und begeisterten sich für sie, darunter Claudio Tolomei, Bernardino Rota, Angelo di Costanzo, Bernardo Tasso, Bernardino Martirano, Gian Giorgio Trissino und Marcantonio Epicuro.[5]Tizian malte 1531 auf Veranlassung Vittorias eine Maria Magdalena. Weitere prominente Freunde Vittorias waren Ludovico Ariosto, der ihre Dichtkunst in seinem Epos Orlando furioso als einzigartig pries, Marcantonio Flaminio, der sie in lateinischen Gedichten verherrlichte, und Kardinal Pietro Bembo, der sich enthusiastisch über ihre Sonette äußerte.
Während humanistisch gesinnte Dichter ihr weiterhin im Stil heiterer, galanter Verehrung huldigten, begann sie, sich als Witwe mit wachsender Leidenschaft religiösen Anliegen zu widmen. In der Spiritualität, die sie nun entwickelte, spielten neuplatonische Impulse eine wesentliche Rolle.[7]
Sie schloss sich einer religiösen Strömung im Katholizismus an, deren Ziele mit denen der beginnenden Reformation teilweise übereinstimmten. Der Initiator dieser Bestrebungen war der Humanist Juan de Valdäs, der Vittoria tief beeindruckte und ihre neue Ausrichtung maßgeblich beeinflusste. Das Anliegen dieser Kreise war eine vertiefte Innerlichkeit des religiösen Lebens; damit verband sich oft eine Distanzierung von konventionellen Gepflogenheiten und der veräußerlichten Praxis der rituellen Gebräuche. Der Einhaltung von Formalitäten wurde das Erfordernis einer persönlichen Beziehung zu Gott entgegengehalten.
Ein Kerngedanke war dabei die Idee, für die Erlösung des Menschen sei die Gnade als freies Geschenk ausschlaggebend; Verdienste, die er sich durch seine Handlungen zu erwerben glaubt, seien unwesentlich. Gute Werke und schon der Wunsch, sie zu verrichten, seien keine Verdienste des Menschen, sondern selbst schon der Gnade zu verdanken, also deren Folge und nicht Ursache. Diese Betonung der Gnade führte bei Vittorias Freunden und auch bei ihr selbst zu Formulierungen, die eine mehr oder weniger ausgeprägte Nähe zu Martin Luthers Konzept Sola gratia erkennen ließen. Durch ihre Sympathie für solches Gedankengut und für prominente Theologen, die es mehr oder weniger deutlich vertraten, geriet Vittoria im einsetzenden Kampf zwischen Katholizismus und Reformation zwischen die Fronten, obwohl kein Zweifel daran bestand, dass sie sich bis zu ihrem Lebensende als Katholikin betrachtete.[8]
Besonders scharf trat dieses Konfliktpotenzial in der Kontroverse um ihren Freund Bernardino Ochino zutage, dessen begeisterte Anhängerin sie war. Ochino war Ordensgeneral der Kapuziner und ein berühmter, aber umstrittener Prediger, der von seinen Gegnern der Häresie verdächtigt wurde. Vittoria setzte sich in eindringlichen Briefen mit großem Nachdruck für ihn ein. Später floh er aus Italien, brach mit der katholischen Kirche und vertrat offen eine reformierte Theologie, wodurch Vittoria kompromittiert wurde. Ein anderer Freund Vittorias, Pietro Carnesecchi, stand ebenfalls im Verdacht der Ketzerei; später, lange nach ihrem Tod, wurde er der Inquisition ausgeliefert und hingerichtet. Aber auch im Kollegium der Kardinäle hatte sie Freunde, die ihren spirituellen Anliegen Verständnis entgegenbrachten, darunter insbesondere Gasparo Contarini, Jacopo Sadoleto und Reginald Pole. Eine gleichgesinnte Freundin und Mitstreiterin fand sie in der Königin von Navarra Margarete von Angoulume.
Sehr intensiv war Vittorias 1538 beginnende Freundschaft mit Michelangelo, der sie in einigen Gedichten im Stil ihrer galanten humanistischen Verehrer verherrlichte, wobei er besonders ihre Schönheit überschwänglich pries.
Die letzten Lebensjahre Vittorias wurden durch die zunehmende religiöse Intoleranz verdunkelt. Die 1542 von Papst Paul III. eingerichtete Römische Inquisition, die das Vordringen des Protestantismus in Italien verhindern sollte, wandte sich gegen einen zentralen Teil ihrer religiösen Gedankenwelt, die Gnadenlehre. Die nun definitiv als häretisch geltenden Ideen durfte sie fortan nicht mehr vertreten.
Vittorias poetische Aktivität setzte spätestens 1512 ein; aus diesem Jahr stammt ihr ältestes erhalten gebliebenes Gedicht. Von ihren Dichtungen ist ein erheblicher Teil von über 100 Sonette und Kanzonen dem Andenken ihres Gatten gewidmet, dessen Persönlichkeit sie idealisierend darstellt.
Der Einfluss Petrarcas macht sich in Vittorias poetischem Werk formal und inhaltlich stark bemerkbar (Petrarkismus). Ein grundlegender Unterschied zu Petrarcas Haltung besteht jedoch darin, dass Vittoria niemals die irdische Liebe als solche bereut oder als Irrtum betrachtet. Vielmehr wertet sie das, was sie in der Ehe erlebt hat, grundsätzlich positiv, denn sie sieht darin in neuplatonischem Sinne die Voraussetzung und den Ausgangspunkt für das, was sie durch die Vergöttlichung der Liebe zu erlangen hofft. Als Fehler betrachtet sie nur ihr fortgesetztes Festhalten an der Trauer über den Verlust des Vergänglichen, nachdem der Tod des geliebten Mannes dieser Art des Erlebens von Liebe ein Ende gesetzt hat.
Andererseits kennt und beherrscht Vittoria aber auch den petrarkistischen Liebesdiskurs, der die widersprüchlichen Gefühlsregungen (contrari affetti) im erotischen Erleben darstellt und problematisiert. Dies zeigt sich unter anderem in ihrer Cento-Dichtung, in der sie unterschiedlichen Gedichten Petrarcas Textstellen entnimmt, die sie zu einer neuen Einheit verbindet.
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